Die Privatspähre des Sigmar Gabriel
Das Persönliche ist das Politische, lautete ein Leitsatz der Frauenbewegung der Achtziger Jahre. Getreu diesem Motto hat eine Gruppe Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen von SPD, Grünen und der Piratenpartei sowie Künstlerinnen einen offenen Brief an den SPD-Parteichef Sigmar Gabriel geschrieben, der kürzlich zum zweiten Mal Vater wurde. Wie er die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sehe. Ob er der Doppelbelastung als Vater und Parteivorsitzender gewachsen sei und ob er sich als junger Vater die Leitung eines Bundestagswahlkampfes zutraue, fragten die Frauen. „Wie schnell werden Sie nach der Geburt Ihres Kindes Ihren Beruf wieder aufnehmen?“ Der Brief formulierte Fragen, die Politikerinnen in vergleichbarer Situation ständig gestellt bekommen.
Gabriel reagierte verärgert und ließ wissen, er habe seine „private Lebensplanung“ mit seiner Frau besprochen und die ginge niemanden etwas an.
Hilfe vom Datenschutzbeauftragten
Schützenhilfe erhielt Gabriel nun vom rheinland-pfälzischen Landesbeauftragte für den Datenschutz, Edgar Wagner. Der ließ als Pressemitteilung am 13. April unter der Überschrift „… vom richtigen Umgang mit der Privatsphäre“ verlauten,
… zu einer humanen Gesellschaft gehören nicht nur Öffentlichkeit, Offenheit und Transparenz, sondern auch Privatheit, Diskretion und Geheimnisse, auch Tabus. Das eine setzt das andere voraus und ist ohne dieses nicht möglich.
Und weiter:
Deswegen ist es auch aus der Sicht von Datenschützern so sehr zu begrüßen, das es unter den Personen des öffentlichen Lebens Beispiele gibt, die ihre Privatsphäre hüten und pflegen und dem öffentlichen Blick vorenthalten. In einer Gesellschaft, in der Transparenz als Wert an sich angesehen und deshalb – selbstredend im offenen Brief – gefordert wird, der SPD-Vorsitzende solle „das Leitbild einer partnerschaftlichen Familie öffentlich vorleben“, ist es notwendig, Grenzen zu ziehen und das Private eben nicht, auch nicht politisch, zu vermarkten. So gesehen ist die Haltung Gabriels – „wir wollen uns die Definition dessen, was wir für uns für privat halten, nicht von anderen abnehmen lassen“ – beispielgebend.
Parteiprogramm und Person
Mit Verlaub, Herr Wagner, hier haben Sie etwas völlig falsch verstanden. Zum einen stellt sich die Frage, warum diese Pressemitteilung erst jetzt kommt, da ein Mann sich kritischen Fragen ausgesetzt sieht – wo war Ihr Kommentar zu entsprechenden Fragen (und teilweise massiven Anfeindungen), die Frau Nahles und Frau Schröder sich gefallen lassen mussten, als sie kurz nach der Geburt ihrer Kinder in die Politik zurück kehrten?
Außerdem: Sigmar Gabriel gehört einer Partei an, dessen Vorstand im September 2011 ein Fünf-Punkte-Programm beschloss, das unter anderem mehr Zeit für die Familie vorsieht, ohne die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten von Eltern einzuschränken. „Frauen und Männer sollen Familienarbeit und Berufstätigkeit partnerschaftlich vereinbaren können“, heißt es darin unter anderem.
Wie der Vorsitzende dieser Partei für sich diesen Beschluss mit Leben füllen möchte – ob er ihn überhaupt mit Leben füllen möchte – soll dem Datenschutz unterliegen? Das kann nicht sein. Ein Politiker steht als öffentliche Person ja nicht nur für Programme, die man beliebig von der Person abspalten kann. Ein Politiker steht auch immer als Person für das, was er politisch fordert, ansonsten kann seine (politische) Glaubwürdigkeit schnell dahin sein.
Kein medialer Exhibitionismus
Eine glaubwürdige oder wenigstens halbwegs glaubwürdige Übereinstimmung zwischen politischem und privatem Verhalten einzufordern hat nichts mit „medialem Exibhitionismus“ zu tun, sondern mit dem berechtigtem Hinweis auf gesellschaftliche Ungleichheiten und der Glaubwürdigkeit von Politikern, hier fest gemacht an Herrn Gabriel. Ihn als „Vorbild der persönlichen und privaten Diskretion“ zu erklären, wie der Landesdatenschutzbeauftragte es tut, ist vor diesem Hintergrund verfehlt und zeugt von einem seltsamen Verständnis von Privatheit.
http://www.datenschutz.rlp.de/de/presseartikel.php?pm=pm2012041301