Datenschutz-Panik – Warum interessiert Google mein Katzenfutter?
Quelle: SPIEGEL ONLINE, 14.07.2011
Von Konrad Lischka
Google plant eine Onlinebörse, in der Werbenetzwerke Anzeigenplätze verkaufen und Nutzungsprofile auswerten können. Beobachter fürchten ein Datenschutz-Debakel. Doch die Realität ist komplizierter.
Hamburg – Wenn es ums Netz, Google und Anzeigenvermarktung geht, ist Aufregung garantiert. Eine Meldung des US-Fachmagazins „AdAge“ hat in Deutschland einen Sturm der Aufregung provoziert. „AdAge“ berichtet über ein Projekt namens DDP, an dem Google mit einigen anderen Unternehmen arbeite. Das Ziel: Eine Anzeigenbörse für Onlinewerbung, auf der Kunden Anzeigenplätze bei verschiedenen Werbenetzwerken buchen können.
Das interessanteste Detail: Google will bei DDP nicht nur die Anzeigenplätze der unterschiedlichen Werbevermarkter zusammenführen, sondern auch die Systeme zum Zuschneiden der Werbung auf bestimmte Nutzergruppen. Fast jedes Werbenetzwerk hat für diese Platzierung von Anzeigen basierend auf demografischen und anderen Daten ein eigenes System – Google arbeitet bei DDP laut “ AdAge“ an einer Standardisierung dieser Verfahren. Sprich: Wenn ein Katzenfutterproduzent seine Anzeigen nur Besuchern von Katzen-Websites zeigen will, könnte er über DDP diese Vorgabe zentral für alle angeschlossenen Werbenetzwerke eingeben.
So weit die bislang bekannten Fakten. Die Aufregung in Deutschland entstand, nachdem die “ Süddeutsche Zeitung“ unter Berufung auf den „AdAge“-Artikel meldete: „Künftig sollen Werber bei Google Daten von Verbrauchern kaufen können, mit Name, Adresse und, vor allem, nach Interessen sortiert.“ Unter der Überschrift „Google will Nutzerprofile direkt verkaufen“ berichtete Zeit Online.
Ein Google-Sprecher bestritt auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE, dass das Unternehmen Nutzerdaten- oder -Profile verkaufe. Inzwischen haben „SZ“ und Zeit Online ihre Texte online entschärft, der Vorwurf des Verkaufs von Nutzerdaten fällt nicht mehr. Doch die Deutung der Geschichte hält sich, obgleich nichts Konkretes zu DDP bekannt ist. Der Branchendienst „Kress“ meldet: „Die Werbeindustrie wird jubeln, Datenschützer werden demonstrieren.“
Das dürfte stimmen. Denn völlig unabhängig davon, wie Googles neue Anzeigenbörse im Detail funktionieren wird, dürfte die Vorstellung, dass jemand Onlinewerbung einfach so auf Katzenfutterfreunde zuschneiden kann, viele Menschen erschrecken. Der erste Gedanke ist: Die wissen, dass ICH Katzen habe! Tatsächlich weiß der Anzeigenvermarkter wahrscheinlich nur, dass an dem gerade verwendeten Rechner schon recht oft Katzen-Websites aufgerufen wurden. Und dann sieht man eben auch auf anderen Seiten Reklame für Katzenfutter.
Targeting, Nutzungsprofile, verhaltensbasierte Werbung – SPIEGEL ONLINE erklärt, wie die Online-Reklame funktioniert.
2. Teil: Was bedeutet Targeting?
Unter dem Schlagwort Targeting fassen Werbevermarkter ganz unterschiedliche technische Ansätze zusammen, mit denen sich Anzeigenkunden an eine bestimmte Zielgruppe richten können. Es geht immer darum, den sogenannten Streuverlust zu minimieren: Online-Werbung für Fotokameras sollen nur Online-Nutzer sehen, die sich für Fotografie interessieren.
Klassische Anzeigen in gedruckten Magazinen bieten so gesehen auch schon Möglichkeiten zum Targeting: Es gibt Fachmagazine für Fotografie. Zudem können die Werbevermarkter jedes Magazins mit einem breiteren Themenspektrum potentiellen Anzeigenkunden sehr genau erklären, wie viele Leser in welchen Alters-, Einkommens- und Bildungsgruppen ihr Heft hat.
Online-Netzwerke wissen all das auch, sie können nur genauer differenzieren, weil sie in der Regel spezielle Angebote zu ganz unterschiedlichen Themen im Web vermarkten. Google bietet Anzeigenkunden mehr als 1000 Interessenkategorien (Autoliebhaber, Vielreisende, Tierfreunde), in die bestimmte Surfertypen eingeordnet wurden.
Hinzu kommen spezielle Targeting-Möglichkeiten im Web: Man kann Werbung zu bestimmten Tageszeiten oder bei einem bestimmten Wetter anzeigen lassen. Es lassen sich die Regionen eingrenzen, in denen Werbung gezeigt werden soll, man kann aber auch Anzeigen nur den Nutzern zeigen, die in den vergangenen Wochen bestimmte Websites abgerufen haben.
Die Werbekunden können bei diesen Anbietern aber nur den Zugang zu Zielgruppen kaufen, nicht zu einzelnen Personen in dieser Zielgruppe. Man kann also zum Beispiel seine Katzenfutter-Anzeige Online-Nutzern in München zeigen lassen, die in den vergangenen Wochen Katzen-Sites aufgerufen haben. Aber der Anzeigenkunde erfährt nicht, wer diese Katzenfans nun sind. Online-Werbung soll exakt definierte Zielgruppen erreichen, nicht einzelne Menschen direkt ansprechen wie das umstrittene Direktmarketing.
3. Teil: Woher wissen die Werbenetze, wer Katzen-Websites aufruft?
Alle großen Werbenetze arbeiten mit sogenannten Cookies. Das sind kleine Textdateien, die der Browser auf der Festplatte des Computers ablegt, wenn man eine Website abruft, auf der Anzeigen des jeweiligen Netzwerks zu sehen sind. Über diesen Cookie erkennt das Werbenetzwerk dann den Computer wieder, wenn im Browser ein anderes Angebot aufgerufen wird.
Google zum Beispiel sortiert auf Basis dieser Information die einzelnen Rechner, von denen Seiten abgerufen werden, konkreten Interessenkategorien zu. In dem Zusammenhang ist zwar immer wieder von „Nutzern“ die Rede, gemeint ist damit aber “ eine eindeutige Instanz eines Webbrowsers“. Sprich: Wenn zwei Menschen sich einen Computer teilen und denselben Browser nutzen, gelten sie als ein Nutzer.
4. Teil: Was wissen die Werbenetzwerke sonst noch?
Einzelne Werbenetzwerke ergänzen das Rohmaterial zum sogenannten verhaltensbasierten Targeting um unterschiedliche Zusatzinformationen. Einige Beispiele:
- Das Yahoo-Werbenetz wertet für die Kategorisierung von Zielgruppen auch aus, welche Suchanfragen Nutzer bei Yahoo eingegeben und welche Artikel sie auf den Yahoo-Medienangebot aufgerufen haben. Wenn jemand sich an dem Rechner mit dem Yahoo-Cookie bei einem Yahoo-Dienst einloggt (Mail, Flickr), werden dem Cookie die demografischen Daten der letzten Person zugeordnet, die bei Yahoo angemeldet war. Ein Beispiel: Wenn Sie in ihrem Yahoo-Profil angeben, ein Mann aus München zu sein, übernimmt das Werbenetzwerk diese Information.
- Microsoft beschreibt die Datenbasis für die Zielgruppen-Kategorien seines Werbenetzes so: „Da Sie Onlinedienste verwenden und auf Websites browsen, die von Microsoft und Microsoft-Partnern bereitgestellt werden, verwenden wir die erfassten Daten (Suchanfragen, Seitenansichten, Links, auf die Sie klicken, oder ähnliche Daten), um vorhersagen zu können, welche Werbung Sie am meisten interessiert.“
- Auch Google bietet Anzeigenkunden eine Vorauswahl nach Alter und Geschlecht an – aber nur in einem bestimmten Werbeumfeld. Google erklärt das so: „Einige Publisher im Google Display-Netzwerk verfügen über bestimmte, individuelle Nutzerdaten. In sozialen Netzwerken werden Nutzer z. B. oftmals aufgefordert, sich mit Alter und Geschlecht zu identifizieren. Einige Websites im Google Display-Netzwerk stehen für Gebote nach demografischen Kriterien zur Verfügung, viele aber nicht.“ Konkret heißt das: Wenn eine Seite wie etwa YouTube bei eingeloggten Nutzern weiß, wie alt sie laut ihrem Profil sind, können Anzeigen entsprechen zugeschnitten werden – allerdings nur auf YouTube.
- Einige Anbieter ergänzen die Informationen zum Surfverhalten um Antworten aus anonymen Online-Befragungen: Der Targeting-Anbieter Nugg.ad zum Beispiel veröffentlicht auf den Websites seiner Kunden Fragenbögen, Schwerpunkte sind laut Nugg.ad „die Themenfelder Produktinteresse und Soziodemografie“ – sprich: wie alt ist der Nutzer, der gerade den Browser nutzt, würde er auch Hautcreme kaufen? Solche Informationen lassen sich aus dem Surfverhalten nur schwer ableiten.
- Beim US-Netzwerk Adbrite kann man Anzeigen mittels Daten von Drittanbietern wie Rapleaf, Targetinfo und Exelate auch auf Zielgruppen zuschneiden wie „Twitter-Mitglied“, „seit sechs Monaten verheiratet“.
Nach dem, was bislang über Googles Projekt DDP bekannt ist, würde diese Plattform es ermöglichen, Zielgruppen für Anzeigen nach Targeting-Optionen unterschiedlicher Werbenetzwerke zu definieren. Ein hypothetisches Beispiel: Netzwerk X weiß, dass mit einem Browser regelmäßig Tennisseiten aufgerufen werden. Netzwerk X weiß, dass mit diesem Browser in den vergangenen Wochen oft Reiseseiten aus seinem Partnernetz abgerufen worden sind. Nun könnte ein Anbieter theoretisch eine Anzeige für eine Reise zum Wimbledon-Turnier diesen Nutzern anzeigen lassen.
5. Teil: Wie lässt sich die Datensammlung stoppen?
Nutzer können einzelne Cookies löschen, generell die Annahme von Cookies im Browser deaktivieren oder nur bestimmte Cookies erlauben und andere nur nach Rückfrage speichern lassen. Die Online-Werbenetze bieten aber auch an, einen sogenannten Opt-Out-Cookie zu installieren. Ist der einmal abgelegt, versucht der Anbieter nicht wieder, Cookies auf diesem Rechner zu platzieren.
Eine kleine Anbieter-Übersicht mit Linkliste zu den Opt-Out-Seiten bietet der Bundesverband Digitale Wirtschaft. Eine erheblich komfortablere und umfangreichere Site betreiben verschiedene Verbände der US-Internetwirtschaft – hier kann man direkt über eine Seite bei 74 Anbietern ein Opt-Out aktivieren.